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Raoul Peck: Der Geist der Demokratie

Jede Demokratie blickt zurück auf eine Geschichte, die davon erzählt, wie autoritäre Verhältnisse durch den Prozess der Demokratisierung überwunden wurden. Das demonstriert Raoul Peck jetzt eindrucksvoll am Beispiel Südafrikas. Sein Dokumentarfilm ERNEST COLE: LOST AND FOUND, der am 17. April 2025 in die deutschen Kinos kommt, offenbart gerade dadurch große Aktualität – und die amerikanische Episode im Leben des Protagonisten bestätigt es nur.  In den demokratischen Staaten der Gegenwart zeigt sich schließlich vermehrt ein paradoxes Phänomen: Gewählte politische Kräfte sprechen historischen Emanzipationsprozessen ihre Relevanz ab. Ein Geschichtsverständnis, wie es sich etwa im Slogan »Make America Great Again« manifestiert, ignoriert nicht nur die Fortschritte, die in den letzten Jahrzehnten auf allen gesellschaftlichen Ebenen in den USA gemacht wurden, in der MAGA-Bewegung äußert sich eine Sehnsucht nach Zuständen, die das Land weit hinter diese Errungenschaften zurückfallen lassen würden.

Trump

Es gehöre für ihn zur Verantwortung als Bürger, sich zu engagieren, erklärt Raoul Peck im FFQ&A-Interview. Wer sich als Bürger nicht engagiere, nutze die Demokratie nur aus, und profitiere vom dem, was andere Menschen zuvor errungen haben, ohne sich daran zu beteiligen. Demokratie, so darf man Pecks Aussage auffassen, ist etwas, das sich nie von selbst versteht. Sie wird erkämpft und lebt davon, dass wir alle partizipieren, indem wir für sie eintreten. Sonst wird sie von denjenigen, die (auch wirtschaftlich) am meisten von ihr profitieren, mit Füßen getreten.

Yot Tube Cove Raoul Peck

Ernest Cole hatte keine Wahl. Er wurde in eine durch und durch undemokratische Gesellschaft hineingeboren. Raoul Peck  erzähltdie Geschichte dieses besonderen Menschen, der die Fesseln des südafrikanischen Apartheidregimes publik machte – und sie zumindest so weit abstreifte, dass er sich woanders freier bewegen konnte. Cole gelang dies mit den Mitteln der Kunst. Trotz der Steine, die ihm die weiße Regierung in den Weg legte, machte er sich einen Namen als Fotograf. Sein im Exil veröffentlichter Foto-Band »House of Bondage« öffnete der Welt bereits1967 die Augen. In Südafrika wurde das Buch verboten. Erst zu Beginn der 1990er Jahre fand die dort herrschende Apartheid, unter wachsendem Druck von innen und außen, offiziell ein Ende. Kurz darauf starb Ernest Cole an Krebs.

Videocover LOST AND FOUND OHNE

Mit der Kamera im Daueranschlag hatte Ernest Cole Bilder geschaffen, die sich einmischen – im wahrsten Sinne des Wortes. Cole dokumentierte den Alltag seiner Zeitgenossen und damit auch den alltäglichen Rassismus in Südafrika. Schonungslos. Für ihn als Fotografen gab es keine Zweifel daran, ob es in Ordnung ist, Leute auf der Straße zu knipsen, ohne sie um Erlaubnis zu fragen. Es bestand dringende Notwendigkeit, die Wirklichkeit zu belichten, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Die Aufnahmen zeugen von dieser Dringlichkeit als Ausdruck des Willens, die Zustände in Südafrika zu verändern. Ungleichheit begegnete Cole später auch in den USA, nur fand er sich dort im unbestimmten Zustand des Geflüchteten wieder, der vom Regen in die Traufe gekommen war – von der Apartheid Südafrikas in die Segregation. Den Rassismus US-amerikanischer Prägung hat Raoul Peck bereits 2016 in seinem bewegenden James-Baldwin-Porträt I AM NOT YOUR NEGRO thematisiert.

Videocover I AM NOT YOUR NEGRO OHNE

Rückwärtsgewandte Kräfte findet man gegenwärtig auch in Europa. Im Januar führte eine Abstimmung im Bundestag zum Abriss der viel zitierten Brandmauer, die unsere Demokratie schützen sollte. Zum ersten Mal seit 1949 kam eine Mehrheit nur dank der Zustimmung einer rechtsradikalen Partei zustande – bei einem Votum mit der Absicht, schärfere Grenzlinien zwischen den Menschen zu ziehen. Durch den Tabubruch vergisst man leicht, dass die hiesige Demokratie einen steinigen Weg hinter sich hat. Bereits Ende der 1960er Jahre hieß die Losung der SPD unter Willy Brandt »Mehr Demokratie wagen!«, und Migration war stets ein wunder Punkt der bürgerlich-demokratischen Gesellschaft. 1983 plante Raoul Peck einen Spielfilm über Cemal Kemal Altun, einen politischen Flüchtling aus der Türkei, der angesichts der drohenden Abschiebung in West-Berlin Suizid beging. Aber das Filmprojekt des Absolventen der Deutschen Film- und Fernsehakademie konnte nicht realisiert werden, es wurde als nicht förderungsgwürdig eingestuft.

Videocover Willy Brand OHNE

Wenn Peck sich heute als Bürger bezeichnet, meint er Weltbürger. Neben Deutschland hat er in vielen weiteren Ländern Spuren hinterlassen. 1996 war der 1953 in Port-au-Prince geborene Filmemacher ein Jahr lang Minister für Kultur in Haiti, sein künstlerisches Werk ist politisch engagiert, egal ob es sich um Dokumentar- oder Spielfilme handelt. Den kongolesischen Revolutionär Patrice Lumumba porträtierte er in beiden Genres, und mit dem Kostümdrama DER JUNGE KARL MARX widmete er sich einer anderen Schlüsselfigur seines Lebens, die er unabhängig von der Vereinnahmung durch Ideologen schätzt. 

Videocover DER JUNGE KARL MARX OHNE

Ähnlich wie bei ERNEST COLE: LOST AND FOUND muss man im Fall der Lumumba- und Marx-Annäherungen jeweils an eine Geistergeschichte denken. Im Spielfilm LUMUMBA rekapituliert der Freiheitskämpfer seine Lebensgeschichte aus dem Totenreich – und Marx sah nicht nur bekanntlich selbst ein Gespenst umgehen in Europa, viele sehen heute Gespenster, wenn sie nur seinen Namen hören. Derweil machen die Fotos von Ernest Cole jenen Spuk der Unterdrückung sichtbar, der im Apartheidstaat Südafrika einst die Realität bestimmte. Ob Raoul Peck die Geisterassoziation nachvollziehen kann? Das erfährt man im kompletten FFQ&A.

Videocover Talking Heads OHNE