vielleicht hat Albert Serra recht, und künftige Kinozuschauer bezahlen ihr Geld, nur um zu leiden. „Mehr Geld als jetzt, denn nur wenn man leidet, fühlt man etwas“, sagt er uns im denkwürdigen Interview, das wir an einem regnerischen Morgen bei der letzten Festivalausgabe führten.
Eine kleine Ahnung von diesem Kino der Zukunft offeriert uns der 49-jährige Katalane allerdings schon in seinem eigenen Werk. Die 165 Minuten, die PACIFICTION dauert – sein bislang aufwändigster Film und gegliedert in lange, oft betont theatrale Sequenzen – teilten auch das Cannes-Publikum 2022 in zwei Lager. Die einen kapitulierten nach der Hälfte, doch die anderen, die blieben, erhielten ihre investierte Zeit am Ende vergoldet zurück: Eine rohe, hemmungslose Sinnlichkeit bricht dann förmlich aus den Bildern, wenn sich die Wellen im Meer vor Tahiti leinwandfüllend überschlagen.

Vordergründig geht es um das Taktieren eines französischen Hochkommissars in der gegenwärtigen Spätphase des Kolonialismus. Unterschwellig aber geht es um Gewalten, die nur das Kino zugleich aufzeigen und bändigen kann. Sein jüngster Film TARDES DE SOLEDAD – NACHMITTAGE DER EINSAMKEIT, der ihm den Hauptpreis beim Festival von San Sebastian eintrug und beim FILM FESTIVAL COLOGNE 2024 Deutschlandpremiere feierte, macht den Schmerz des Spektakels direkt zum Thema. In seinem ersten Dokumentarfilm widmet er sich dem Stierkampf, der ritualisierten Gewalt schlechthin, mit quälender Nüchternheit. In der Einsamkeit des Toreros sieht er dabei keine verklärende Melancholie. „Es ist die Voraussetzung für seine Arbeit.“

Nicht weniger gilt das für Serras Idee vom kreativen Individuum. Vielleicht hätte er gerne in den Sechziger Jahren gelebt, als die Nouvelle Vague auch außerhalb der Filmwelt Thema war, aber die Zeiten sind vorbei. „Es wäre schön, sich auf eine künstlerische Gruppe zu verlassen, aber ich sehe sie nirgends.“ Für den Filmkünstler Serra, der 2012 auf der documenta 13 an 100 Tagen 100 Film-Drehtage absolvierte, ist Avantgarde Einzelkämpfertum: „Was nur noch zählt, ist die künstlerischer Form. Es ist intim, man muss es für sich machen und kann sich auf niemanden verlassen.“
