8 ½ clevere Filme übers Filmemachen | Film Festival Cologne
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8 ½ clevere Filme übers Filmemachen

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Dying 3

#8 ½ Me and Earl and the Dying Girl

USA 2015, R: Alfonso Gomez-Rejon

Eines der vielen ungerechten Schicksale Hollywoods: Gerade als Alfonso Gomez-Rejon seinen zweiten Langfilm ins Kino bringen wollte, brachten Missbrauchsvorwürfe seinen Produzenten Harvey Weinstein ins Gefängnis – und THE CURRENT WAR, eigentlich ein überzeugendes Period Piece, sollte kurz nach seinem Release bald in der Vergessenheit verschwinden.

Dabei galt Gomez-Rejon als vielversprechendes Talent: Zwei Jahre zuvor hatte er mit ME AND EARL AND THE DYING GIRL verdientermaßen den Hauptpreis in Sundance gewonnen: Während andere Teenager Party machen, verbringen Greg und Earl ihre Zeit mit skurrilen Werner Herzog-Videos, bizarren kulinarischen Experimenten von Gregs Dad und selbstgedrehten Film-Remakes, mit denen sie der krebskranken Rachel ihre letzten Tage versüßen. Zugegeben: dem DYI-Dilettantismus hatte BE KIND REWIND früher und besser ein Denkmal errichtet. Saukomisch und berührend bleibt dieser Film trotzdem.

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Tambien 3

#8 También la lluvia

E, F, MEX 2010, R: Icíar Bollaín

Eine spanische Crew dreht in Bolivien einen Film über die brutale Kolonisierung Amerikas. Rundherum herrscht wirkliche Gewalt: der »Wasserkrieg« des Jahres 2000. Der getriebene Regisseur (Gael García Bernal) möchte die Störung seines Films nicht wahrhaben – doch dann werden die indigenen Statist:innen, die bei ihm eigentlich am Kreuz brennen sollen, zu Rädelsführern der Unruhen.

TAMBIÉN LA LLUVIA stammt aus der Feder von Paul Laverty, einem der wenigen namhaften Drehbuchautoren Europas, dem schreibenden Kopf hinter einigen der besten Filme von Ken Loach. Mit seiner Regisseurin (und Frau) Icíar Bollaín ist ihm ein kompromissloser Film über koloniale europäische Arroganz gelungen, dem man so manche didaktisch anmutende Passage verzeiht. »Diese Auseinandersetzungen gehen vorüber. Unser Film wird bleiben«, sagt Bernal in einer Szene, um sein Filmteam zum Weitermachen zu überreden. Doch er soll nicht Recht behalten: Manchmal ist das Leben eben doch größer als das Kino.

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Burden 4

#7 Burden of Dreams

USA 1982, R: Les Blank

Ein Werk – besser und wahrhaftiger als der Film, den es dokumentiert. Dabei war Herzogs Opus Magnum selbst schon auf abgefahrene Weise selbstreferenziell: Wie im Plot von FITZCARRALDO ist Klaus Kinski auch hinter der Kamera ein Narzisst, der Kolleg:innen mit seinem toxischen Verhalten nervt. Und auch Werner Herzog – als manischer Künstler mit biblischem Sendungsbewusstsein (und ikonischem bavarischen Akzent) – offenbart sich als fragwürdiges Double seiner Hauptfigur.

BURDEN OF DREAMS hat wegen seltsamer Monologe, die der deutsche Regisseur in den Dschungel brabbelt, Kultstatus erreicht. Dabei sollte uns Les Blanks Film eigentlich als Mahnmal gegen künstlerischen Größenwahn dienen: »I live my life or I end my life with this project«, sagt Herzog in einer Szene. Im Endeffekt waren es Mitglieder der indigenen Aguaruna, die für seine Kunst sterben mussten.

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Lemepris 3

#6 Le Mépris

F, IT 1963, R: Jean-Luc Godard

Es stimmt, dass dieser Film nicht nur gut gealtert ist. Vielfältige Variationen von Brigitte Bardot nackt – als freizügige, theatralisierte Femme Fatale – waren Anfang der Sechziger noch ein rebellischer Move des Regisseurs gegen seine Produzenten. Heute ist die Debatte um die Politik des Sehens eine gänzlich andere.

Doch LE MÉPRIS ist zu selbstreferenziell, um ihn auf oberflächliche Marker zu reduzieren: er problematisiert, was er zeigt, und zeigt, was er problematisiert. Als die Symbiose zwischen dem »alten« Kino Hollywoods, das Godard liebte, und dem neuen Kino, dem er den Weg bereiten wollte, strotzt er voller wunderbarer Widersprüche: tolle Dekors an der Küste Capris treffen auf brechtianische Risse in der vierten Wand. Der herzzerreißende Score von Georges Delerue wird irgendwann zur Endlosschleife. Fritz Lang referenziert sich als Grand Old Man des Kinos selbst. Jack Palance als unausstehlicher Produzent amerikanischer Bauart koexistiert mit Michel Piccoli, einer zutiefst europäischen Figur. Am Ende fährt ein Filmteam an einem Schauspieler vorbei, der ausgerechnet Odysseus spielt, und ein Schwenk offenbart das Meer. Kino von gigantischer Schönheit.

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Souvenir 1

#5 The Souvenir: Part II

UK 2021, R: Joana Hogg

Honor Bryne Swinton schlüpft zum zweiten Mal in die Rolle von Julie und trauert um ihren Liebhaber Anthony, der an einer Überdosis gestorben ist. Doch das Leben lässt ihr keine Pause: der Idee für ihr Abschlussprojekt begegnet ihre Universität mit niederschmetternder Kritik. Am Set vermag sie die Bilder für ihren semi-autobiographischen Film über Anthony nicht in umsetzbare Regieanweisungen zu packen. Kunst und Trauerbewältigung fließen ineinander und werden zu ein und demselben Prozess – aus dem Julie zuletzt gestärkt hervorgehen soll.

Was bedeutet es, das eigene Leben zu filmen? Oder den eigenen Film zu leben? In ihrem autobiographischen Diptychon arbeitet sich Hogg an diesen Fragen ab, und im zweiten Teil gelingt ihr eine vermeintliche Diskrepanz: Sie schafft es auf persönlichem Level zu berühren und dabei trotzdem auch tiefgehender über das Filmemachen nachzudenken. Theorie und Praxis, Leben und Kunst: Wer aus dem Kinosaal kommt, kann diese Kategorien im besten Fall nicht mehr klar voneinander trennen.

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Five 1

#4 The Five Obstructions

DK 2003, R: Lars von Trier

Einschränkungen sind kostbar – das gilt bei der Filmauswahl auf Mubi oder Netflix ebenso wie beim Machen eines Films. Die jungen Wilden der dänischen Dogma 95-Bewegung wurden einst mit dekonstruktivistischen, auf Camcordern gedrehten Streifen berühmt, die das Kino »entkleiden« sollten. In THE FIVE OBSTRUCTIONS treibt ihr wohl berühmtestes Mitglied Lars von Trier die künstlerische Keuschheit noch weiter.

Fünf Mal fordert von Trier den großen dänischen Avantgardisten Jørgen Leth auf, dessen Kurzfilm THE PERFECT HUMAN zu remaken – und legt ihm dabei jedes Mal kreative Einschränkungen auf: Einmal darf keine Einstellung länger als zwölf Sekunden dauern. Ein andermal muss Leth am »schlimmsten Ort der Welt« drehen (und landet in den Slums von Mumbai). Das Ergebnis ist ein ebenso lehrreicher wie diabolischer Spaß: Wann sonst darf ein Fan sein größtes Idol peinigen?

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Bergmann 2

#3 Bergman Island

F, D, B, S 2021, R: Mia Hansen-Løve

Hansen-Løve nannte ihre Filme mal »frontal persönlich«: Auch in BERGMAN ISLAND knüpft sie virtuos ein autobiographisches Beziehungsgeflecht, das von Ingmar Bergman zu Chris und Tony, bis hin zu ihrer eigenen Ehe mit Olivier Assayas reicht. Vicky Krieps spielt Hansen-Løves Alter Ego – eine Filmemacherin, die mit ihrem Mann nach Farö reist und dort inmitten absurder Bergman Safaris, entgegengesetzter Blicke auf das Vermächtnis der schwedischen Regielegende und in zunehmender Entfremdung ein Drehbuch zu schreiben versucht. Bald schon wird ihr Leben mit den Szenen ihrer Protagonistin Amy (das Alter Ego eines Alter Egos!) parallel montiert.

Seien wir mal ehrlich: Man sieht es einem Kunstwerk an, wenn es wirklich etwas herauszufinden versucht. In BERGMAN ISLAND ist die Mise en Abyme nie unüberlegter Selbstzweck. Das Schöne an diesem Film ist, dass er sein Ziel nie klar benennen kann. Die für autobiographische Literatur übliche Epiphanie bleibt uns erspart. Amy alias Chris alias Mia befinden sich in einem Kampf – auf der Suche nach »einem Zimmer für sich allein.« Der Film im Film im Film ermöglicht den Dialog zwischen drei Frauenfiguren, legt aber nahe, dass sie sich letztendlich nur selbst befreien können.

Nicht verpassen: Mia Hansen-Løve im Interview

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Adaption 2

#2 Adaptation

USA 2002, R: Spike Jonze

Hat Script Doctor Robert McKee im Endeffekt doch Recht: Ist ein gelungenes Drehbuch nicht mehr als die Summe guter handwerklicher Entscheidungen? Das wäre der Albtraum von Drehbuchautor Charlie Kaufman, der nicht müde wird, gegen den Einheitsbrei Hollywoods anzuschreiben. Nach dem überragenden Erfolg von BEING JOHN MALKOVICH sollte Kaufman den Bestseller Der Orchideendieb für die Leinwand adaptieren. Es ist ein Glücksfall, dass er daran verzweifelte – und sich beschloss, die Schreibblockade nicht als Hindernis, sondern als Kern seiner filmischen Umsetzung zu sehen.

ADAPTATION ist eines der komplexesten Beispiele für Film im Film, das Psychogramm eines gequälten Künstlers, der hin- und hergerissen ist zwischen schneller Anerkennung und artistischem Mut. Doch bei allem dunklen Zynismus (Highlight: der Auftritt McKees als personifizierter Plot Point!) und allen narrativen Achterbahnfahrten möchte dieser Film doch nur eines wissen: Welche Geschichten wollen wir einander erzählen, und wie? Wer aus Master Classes und Interviews weiß, dass sich Kaufman fortwährend an dieser Frage die Zähne ausbeißt, muss das unweigerlich rührend finden.

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Be kind

#1 Be Kind Rewind

USA 2008, R: Michel Gondry

Kunst ist schön, macht aber sehr viel Arbeit: Es ist kein Werk mit ostentativer Verve, das dieses Rennen gewinnt, keine verkopfte Autoreflexion. Es ist ein unprätentiöser Film, voller Herz und voller Weisheit.

Zwei Nerds – Mitarbeiter der letzten Videothek in New Jersey, die auf Magnetbänder schwört – löschen versehentlich sämtliche Kassetten im Laden. In der Not beginnen sie die verlorengegangenen Klassiker nachzudrehen: mit einfachsten Mitteln und, als die Resultate unerwartet zum Kult werden, bald mit der Unterstützung der gesamten Nachbarschaft.

ROBOCOP schwenkt einen Fön auf der Schrotthalde. CARRIE wird mit Ketchup überschüttet. Hatte jemals eine Crew so viel Spaß beim Drehen, wie die Macher:innen von BE KIND REWIND? Wohl kaum. Eine Liebeserklärung an den Dilettantismus, von einem Regisseur, der sonst Rubik‘s Cubes mit seinen Füßen löst.

Doch darin steckt so viel mehr: das Aussterben kleiner Videotheken, die auf Qualität statt auf Quantität setzen, ebenso wie der Dämon Gentrifizierung lauern im Hintergrund. BE KIND REWIND macht keinen Hehl daraus, dass das kongeniale Video-Trio (verkörpert von Jack Black, Mos Def und Melonie Diaz) ebenso wie seine Kund:innen sonst die Verlierer:innen sind, dass sich andere Filme nicht für die einsame, verwirrte alte Frau von nebenan (Mia Farrow in einem berührenden Cameo!) interessieren würden. Bei Gondry werden sie allesamt zu Held:innen – und das Kino zu einem Medium, das sich wirklich jede:r aneignen darf. Kunst ist Arbeit – macht aber auch sehr viel Spaß.

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Honorable Mentions:

JACQCUOT DE NANTES, R: Agnès Varda

THE SOUVENIR, R: Joana Hogg

LA NUIT AMERICAINE, R: Francois Truffaut

8 ½, R: Frederico Fellini

LA RICOTTA, R: Pier Paolo Pasolini

THE ARTIST, R: Michel Hazanavicius

SUNSET BOULEVARD, R: Billy Wilder

LOST IN TRANSLATION, R: Sofia Coppola

LIVING IN OBLIVION, R: Tom DiCillo

SHADOW OF THE VAMPIRE, R: E. Elias Merhige

FILM, R: Alan Schneider, Samuel Beckett

IRMA VEP, R: Olivier Assayas