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Ohne Fake kein Original, ohne Original kein Fake

Das Wesen der Fälschung scheint der Betrug zu sein. Die Lüge. Welche Bedeutung hat demnach gefälschte Kunst, deren virtuos hergestellte Exponate mitunter selbst Originale darstellen, im Zeitalter von Fake News? Wie verhalten sich manipulierte Nachrichten – oder besser: Meldungen, die stets unter Verdacht stehen, nicht der Wahrheit zu entsprechen, etwa über die Corona-Pandemie – zu einem gefaketen Picasso oder einem veröffentlichten Interview, das so nie stattgefunden hat? Jedes Interview sei eine Verfälschung, behauptet der Schauspieler Lars Eidinger in unserem Interview-Format FFQ&A. Wer’s nicht glaubt, hier ist der, nun ja, Beweis:

Womöglich hat er Recht, zumindest ist es schwierig, ein Gespräch authentisch wiederzugeben, soviel dazu aus journalistischer Perspektive. Schließlich steckt in jeder Textbearbeitung und in jedem Filmschnitt, in jeder wohlüberlegten Antwort und in jedem Arrangement einer bestimmten Gesprächssituation bereits ein Stück Drama. Herausragende Schauspieler:innen wie Eidinger müssen das am besten wissen. Momentan ist er in der Rolle des Journalisten zu sehen, der den größten Medien-Skandal der bundesdeutschen Geschichte zu verantworten hat. In der RTL+ Miniserie FAKING HITLER spielt Eidinger den Stern-Reporter Gerd Heidemann, dem der Kunstfälscher Konrad Kujau 1983 seine Hitler-Tagebücher andrehte.

Faking Hitler Kachel

Zuspätgeborene jeglicher Zeitalter bis zu heutigen Tik-Tok-Teens mögen denken: »Hitler-Tagebücher? Kannste dir nicht ausdenken!« Aber gerade diese abenteuerliche Story belegt, dass im Wesen der Fälschung neben Lug und Trug stets eine Spur Wahrheit enthalten ist. So legte der Hype um die vermeintlichen Aufzeichnungen des Führers auch die Obsession der Deutschen mit ihrem Lieblingshitler und sämtlichen NS-Devotionalien offen. Diese Tatsache ist ganz sicher ein German Original. Charlie Chaplin hat es früh gewusst, er ist bis heute der wahrhaftigste Hitler-Deutschland-Interpret, gerade weil er so viel origineller als der Echte rüberkommt.

Great Diktator

Es erscheint nicht wie ein Zufall, dass in den 1990ern mit Tom Kummer ein echter Action-Journalist für den bis dahin zweitgrößten Betrugsskandal des hiesigen Medienbetriebs sorgte. Einer, der auf Teufel komm’ raus authentisch berichten wollte, wenn auch mit einem gewissen inszenatorischen Pop-Appeal. So ließ der ehemalige Tennis-Crack Kummer sich für einen Artikel über Isolationshaft im angesagten Magazin Tempo wochenlang in den Keller sperren. Hätte man ihn dort doch nie wieder rausgelassen, mögen sich später jene Feuilleton-Redakteure gedacht haben, die von seinen (Genie-)Streichen betroffen waren.

Kummer hielt sich als genialischer Fälscher womöglich selbst für eine Mischung aus Einstein und Hemingway. Doch zur Wahrheit der Fälschung gehört die Glaubensbereitschaft derjenigen, die die Lüge allzu gerne abkaufen. Das gilt für das Publikum eines Films, in dem Schauspieler:innen so tun als ob – übrigens formulierte der berühmte Filmkritiker Enno Patalas während einer Diskussion um Raubkopien in den Nullerjahren passenderweise, Film sei wesentlich eine Raubkopie der Wirklichkeit – und es gilt für Galerien, die gefälschte Bilder und Legenden mit barer Münze entlohnen. Wie auch immer, gegen die heutigen Deep Fakes sehen Kummers Methoden alt aus. Die gefälschten digitalen Realitäten sind längst eigene Welten. 

Kopisten und Fälscher:innen gibt es dabei schon ewig. Nehmen wir den Maler Wolfgang Beltracchi. Dessen Bilder steckten zwar in festen Rahmen, doch die Gemälde kamen nach seiner Enttarnung durch Arne Birkenstocks Filmporträt über ihn und seine Frau Helene ebenfalls in Bewegung. So ein Film verspricht schließlich, Schritt für Schritt der Wahrheit näher zu gelangen. Das mag gleichzeitig der Grund für viele Missverständnisse durch Videos im Internet sein. Manche Fälscher:innen wie Beltracchis Maler-Kollege Tony Tetro oder der als Verfasser einer gefälschten Autobiografie bekannt gewordene Bruno Wilkomirski glauben sogar selbst an ihre Lügen. Man spricht auch von Selbstbetrug – oder etwas lyrischer von Konfabulation.

Varoufakis Stinkefinger

In ihrer Originalität waren Kujaus, Kummers oder Beltracchis natürlich viel einfacher zu enttarnen als digitale Fakes, die heute ein alltägliches Phänomen darstellen. Hatte Böhmermann nicht schon 2015 eine geniale Idee, als er den Skandal um Varoufkis’ Stinkefinger zur Hochphase finanzpolitischen Griechenland-Bashings nutzte, um uns mit modernster Technik vorzuführen, wie simpel digitales Fälschen ist? Wer kann heute eigentlich noch sagen, ob nicht das ursprüngliche Video des Stinkefingers selbst gefaket gewesen sei?  Tja, Verschwörungstheorie, wir hör’n dir trapsen … Dabei strahlte der virale Clip damals eine hieb- und stichfeste Message aus, die wir zum Leitfaden unserer Beschäftigung mit dem Thema auf FAST FORWARD erkoren haben: Ohne Fake kein Original, ohne Original kein Fake. 

Ob man den digitalen Bildern mittlerweile grundsätzlich noch trauen kann? Dies beantwortet der Künstler Arne Vogelgesang in einem weiteren FFQ&A, für dessen Authentizität wir uns verbürgen.

Alles andere kann man wohl am besten in einem Lied ausdrücken: