Mode braucht Bewegung, um ihren Reiz zu entfalten – sie darf nicht bloß im Schrank abhängen. Die Beziehung zum Film und zu allen möglichen Bewegtbild-Formaten liegt da nahe. Models präsentieren Kollektionen auf dem Laufsteg, mit dem roten Teppich der Grande Festivals unter den Heels schlüpfen Schauspieler:innen in diese luxuriösen Gewänder. Werbeclips von renommierten Regisseur:innen darf man eher als künstlerisch wertvolle Kurzfilme bezeichnen, und beim Umblättern der Hochglanz-Magazine wird High Fashion zum Film im Kopf.
Ein Kostüm- oder Historienfilm ohne eine Armada von Desiger:innen und Schneider:innen in den Credits? Undenkbar. Große Modehäuser umgibt zudem eine filmreife Aura. Die Welt der Reichen und Schönen, die sich ihren eigenen Lifestyle auf den Leib schneidern, während dem Publikum nur staunende Blicke bleiben und die Frage, wie einem dies oder jenes wohl selbst zu Gesicht stehen würde … dieser Kosmos bietet genug verlockende Abgründe, um jahrzehntelang darin wie in einer riesigen Wanne voller Rosenwasser zu baden. Mode und Bewegtbild – A Perfect Match. Das zeigt sich gerade wieder in Ridley Scotts HOUSE OF GUCCI und in den darin geschilderten familiären Faltenwürfen des Mode-Unternehmens mit Rock ’n’ Roll-Appeal.
Modemacher:innen sind oft Grenzgänger:innen, und Mode ist in vielen Fällen eine Geschichte mit Migrationshintergrund – deshalb erzählt sie auch mit jeden Strich, der am Beginn eines atemberaubenden Kostüms steht und mit jedem Stich, den ein Kleid oder ein Anzug zusammenhält, von den Schwierigkeiten, sich eine Existenz aufzubauen und dabei die eigene Identität zu wahren, ohne dass man äußerlich zu viele Nahtstellen preisgibt. Grundlegend, aber im Verborgenen. Von den harten Bedingungen der Produktion günstiger Klamotten ist hier noch nicht mal die Rede. Persönliche Dramen tun ein Übriges, um das Leben aufregend und die exklusivste Marke im öffentlichen Gespräch zu halten. Auch Modemenschen sind nur Menschen.
Die Geschichte der Guccis, wie Ridley Scott sie erzählt, beginnt in Florenz und führt über den Weg des Gründers Guccio Gucci nach England. Eine Zeitreise – vom Beginn des 20. Jahrhunderts, über den wachsenden Einfluss der Mode-Magazine in den 1950er Jahren und die modisch, politisch und für die Guccis auch familienintern spektakulären Seventies – bis zu jenem Montag, dem 27. März 1995, an dem die besagten Stiche vor der Mailänder Firmenzentale als tödliche Schüsse offenbar werden. Blutiger Höhepunkt leidenschaftlicher Auseinandersetzungen, die nun auch bei Fans von Mafia-Mythen Begeisterung für modische Belange wecken. Beides gehört zur Popkultur, wie auch THE ASSASSINATION OF GIANNI VERSACE: AMERICAN CRIME STORY – beweist.
Mode und Film … das ist im Sinne der Popkultur sowieso ein festes Couple. Simpsons und Balenciaga, ihr wisst bescheid. Und so verkörpert nicht zufällig Pop-Diva Lady Gaga, die in der Tradition von Madonna seit jeher weniger mit ihrem Image spielt, als sich beständig eins zu schaffen, die Figur der Ex-Frau des ermordeten Gucci-Enkels Maurizio in HOUSE OF GUCCI. Role Models wie Lady Gaga zeigen in ihrem wahren Leben als Superstars, in dem auch mal ein Kleid aus rohem Fleisch betont, wie pflichtbewusst wir alle täglich unsere Haut zu Markte tragen, dass die Kreation eines öffentlichen Images harte Arbeit ist. Eine Anstrengung, die selbst zum Fetisch werden kann. Davon wissen unzählige Influencer:innen zu berichten und davon legen noch die schlichtest produzierten aber ernsthaft inszenierten Schmink-Tutorials oder Sneaker Unboxing-Clips Zeugnis ab.
Mode ist ein schnelllebiges Geschäft, Filme sind bestenfalls für die Ewigkeit gemacht. Aber Fellinis LA DOLCE VITA überdauert auch durch das in den Cinecittà-Filmstudios ausgestellte Kleid, das Anita Ekberg in ihrer Rolle als umschwärmter Filmstar trägt. Was wäre Luc Bessons DAS FÜNFTE ELEMENT ohne die Kostüme von Jean-Paul Gaultier, der selbst wiederum als frühes Paradebeispiel eines Modedesigners gelten muss, der persönlich mit seinem Brand verschmolz und als Person zur Stil-Ikone wurde. Robert Altmans »PRÊt-À-PORTER«, die wundervollen Louis Vuitton-Referenzen in Wes Andersons DARJEELING LIMITED: Bewegtbilder und bewegende Geschichten bringen Mode richtig zur Geltung, und ohne sie wären alle Filme nackt, selbst die realistischen ohne Glam-Faktor. Auch arme Leute tragen schließlich Kleider.
Film meets Fashion – ein Thema, an dem auf FFCGN kein Weg vorbeiführt. Allein die inhaltliche Bandbreite der Filmemacher:innen, die mit werblichen Auftragsarbeiten ihre Handschrift in der Modewelt hinterlassen haben, ist groß. Sie reicht von Martin Scorsese über Kathryn Bigelow, von Harmony Korine oder Gaspar Noé bis hin zu David Lynch. Ein grandioser Film über die Beziehung von Mode, Liebe, Geschichte und Kunst ist Jane Campion mit dem Drama BRIGHT STAR gelungen. Die Poesie des Dichters Keats trifft auf die schöpferische Brillanz der Schneiderin Fanny Brawne, die von ihrem Handwerk im Gegensatz zu ihm leben kann. Von und für alles zu leben, was man liebt … das ist der Stoff, aus dem nicht nur im 19. Jahrhundert Träume gewebt waren. Diese Sehnsucht kommt in bewegten Bildern nie aus der Mode.